Solotrekking im Emmental

03.10.2021

Tagebuchnotizen von meinem Ausflug im Emmental

Feuer

Erster Morgen
Ich sitze am Feuer und trinke meinen ersten selbergebrauten Kaffee. Er hat zwar nicht aufgeschäumt, sondern lediglich gekocht, schmeckt dennoch wunderbar. Ich mache mir dazu Porridge mit zu viel Zucker (Igitt!) und Trockenfrüchten (Miamm!).

Volpino ist beleidigt und grad gar nicht gut drauf. Er zittert gar, wohl um mir klar Signale durchzugeben.

Mein erstes Nachtlager. Laska macht es sich bequem.
Mein erstes Nachtlager. Laska macht es sich bequem.

Der vorherige Abend:
Früh begebe ich mich in die Federn (sprichwörtlich) und lausche den Geräuschen des Abends. Fanciulla, meine Geiss und ihre Kleinen sind zur Sicherheit an einer langen Leine angebunden. Sie meckert noch lange vor sich hin.
Zum Lesen kaufte ich mir das kleinste Buch, welches ich finden konnte. Es hat sich als ein Glückstreffer herausgestellt: kurze Geschichten, die ein Psychiater seinem Patienten erzählt. Sie sind wunderbar, unterhaltsam und stimmen mich nachdenklich.
(Jorge Bucay: „Komm, ich erzähl dir eine Geschichte“)
Diese Nacht kommt mir sehr lange vor. Ich kann nur sehr langsam einschlafen. Der Schlafsack an sich ist sehr warm, es ist ein dicker Daunenschlafsack, dies bei im Moment auch nachts sommerlichen Temperaturen.
Da kommt der kleine Volpino und möchte in den Schlafsack reinkrabbeln, um die Nacht schön geborgen und an mich gekuschelt zu verbringen. Irgendwann spät in der Nacht wird es mir endgültig zu heiss und ich schmeiss ihn raus. Anstatt auf die von mir bereit gelegte weiche Fleece-Jacke zu legen, rollt
ersich auf dem sperrigen Rucksack umständlich zusammen. So hängt heute Morgen von seiner Seite her erstmal der Haussegen ziemlich schief.

Auch Volpino hat es gerne weich.
Auch Volpino hat es gerne weich.

Nach dem Frühstück knipse ich ein paar Fotos und schalte das Handy anschliessend wieder aus. (In der Nacht hab ich’s nicht lassen können und es noch einmal kurz angeschaltet, es hätte ja eine Nachricht da sein können.)
Heute ist meine Moral besser als gestern trotz der halb durchwachten Nacht. Ich habe Lust auf neue Orte, auf neue Eindrücke.
Mein Geh-Tempo ist sehr gemächlich. Gut für mich und die Geissen. Fanciulla trägt recht viel Gepäck, sie nimmt es tapfer hin. Die Kleinen folgen der Mamma auf Schritt und Tritt, sehr gut!
Langsam kapieren die frechen Ziegen, dass mein Schlafplatz und die Feuerstelle tabu sind. Gestern, als sie mir zu aufdringlich schienen, band ich sie an. Ich hoffe aber, dass ich sie so selten, wie möglich anbinden muss und dass sie mit der Zeit lernen, was sie dürfen und was nicht, bzw. wo sie nicht draufspringen (nämlich auf meine frisch gespannte Blache) und was sie nicht tiefer untersuchen (nämlich die offenen Packtaschen) dürfen.
Sie haben ja überall gedeckte Tafel und knabbern sich durchs Gehölz, da können sie gut mein Material in Ruhe lassen. Doch sie probieren es immer wieder mal, man weiss ja nie, was man verpasst..
Tatsächlich kriege ich sie während dieser Wandertage dazu, die Regeln mehr oder weniger zu akzeptieren, BRAVO!

Taschen werden anstatt bärensicher geissensicher hochgehängt!
Taschen werden anstatt bärensicher geissensicher hochgehängt!

Rückblick vom folgenden Morgen aus:
Wie der Tag begann
: Ich zottle los vom Schlafplatz, nachdem ich gemütlich im Eva-Tempo alles gut eingepackt habe. Die Route zum Wanderweg führt zunächst entlang einer Wiese durch das kleine Tal, in dem wir genächtigt haben. Mitten hinein „züngelt“ ein Erdrutsch, ein Überbleibsel der heftigen Niederschläge vor einiger Zeit. Mit sich gerissen hat er riesige Bäume und sogar ein Reh, dessen Überreste aus der Erde ragen. Laska und Volpino schnüffeln interessiert daran.
Auf dem Wanderweg angekommen, geht es erstmal aufwärts über einen Waldrücken, alles gut ertragbar im Schatten. Bei einem Maisfeld angekommen, driften die Geissen kurz rechts rein und beginnen, es sich gütlich zu machen an ihrem Lieblingssnack, den feinen Maisblättern. Ich gehe weiter, darauf vertrauend, dass Fanciullas Treue so geschaffen ist, dass sie mir immer und überall hin folgen wird; was dann auch so geschieht.

Neugierige Paree
Neugierige Paree
Balil sagt Hallo
Balil sagt Hallo
 

Jetzt führt der Weg hinunter zum nächsten Ort, Wynigen, wo wir von einer Hundemeute aus einem Garten verbellt und von anderen Wanderern bestaunt werden. Die Feuertaufe für meine Hornträger ist der Schulschluss neben der Dorfschule. Es ist Punkt 12Uhr, als ganze Horden von Schülern unseren Weg kreuzen. Es geht  gut: Die Kleinen, Balil und Paree sind zwar nervös, lassen sich dennoch sogar anfassen. Auch Fanciulla ist heuer friedlich, oder einfach zu müde, um ihre Zickenseite rauszuhängen. Mir macht es grossen Spass, mich mit den Kindern zu unterhalten, sie sind einfach so unkompliziert. Eine schöne Begegnung!
Wieder unterwegs steigen wir durch den Wald in die Höhe. Nachher wird es mühsam und heiss. Mittag ist schon lange vorbei, doch der einzige schattige Ort, an dem es sich einigermassen bequem hinsetzen und pausieren lässt, ist ein Bauernhof direkt an der Strasse gelegen. Ich binde die Ziegen an Zaunpfähle und hoffe, sie kommen nicht an die Srombänder, doch eine andere Anbindemöglichkeit sehe ich nicht.
Eine halbe Stunde später sind wir endlich oben und der Platz lädt ein zum Pausieren: Ein Waldrand mit angrenzenden abgeernteten Feld. Ich flätze mich hin und endlich darf Fanciulla ohne Gepäck in den Wald.
Nach gut einer Stunde Pause machen wir uns auf, den Schlafplatz zu suchen. Mein Etappenziel, der Weiler Rüedisbach, erreichen wir bald.
Hier beginnt ein Quartier mit „Neuzuzüger“ oder auf jeden Fall mit vielen Einfamilienhäusern samt den dazugehörigen gepflegten Gärten. Ich habe keine Lust, Fanciulla und ihre Kleinen an der Leine hinter mir her zu zerren. So gehe ich strammen Schrittes voran, hoffend, die Geissen folgen mir bei Fuss. Was sie natürlich nicht machen. Sie gehen schnurstracks zum südländisch anmutenden Garten, in dem eben eine versierte Hobbygärtnerin Unkraut jätet, das zwischen ihrem, vorwiegend aus Steinen bestehendem Vorgarten zu wachsen getraut.
Laut rufend und den Wanderstock schwingend schaffe ich es gerade noch, die frechen Geissen von der Zerstörung der Idylle abzuhalten. Wahrscheinlich wirkte es nicht so tierfreundlich, doch hauptsache ist, es wirkte.
So schnell, wie möglich gehe ich weiter und bin froh, dass der Wanderweg bald rechts abzweigt. An der Ecke winkt ein weiteres Blumenparadies, doch die Geissen gehen ungerührt daran vorbei. Da war ich dann doch baff.
Ich freute mich zu früh, denn was sehe ich?

die Geiss mit Packtaschen
die Geiss mit Packtaschen
Das ist der Berg der vielen Tore..
Das ist der Berg der vielen Tore..
 

Ein Berg mit kleinen Mini-Mini-Durchgängen für die Wanderer im elektrisch geladenen Zaun. Unmöglich für den Durchgang einer mit Packtaschen beladenen Ziege.
Beim Zaun Nr.1 sieht es noch einfach aus und funktioniert auch mehr oder weniger gut, denn es sind Plastikpfähle, die sich gut herausziehen lassen. Ich steh also da mit dem Pfahl in der Hand und warte, bis sich die Ziegen genehmen, durchzugehen.
Zaun Nr.2 bis 4 sind leider Holzpfähle, also besteht keine Chance, das Tor zu vergrössern. Ich lege meinen Rucksack ab und nehme Fanciulla die Taschen ab. Natürlich gefällt ihr dies und munter geht sie, von mir an der Leine geführt durch alle folgenden Tore. Oben an der Strasse angekommen, binde ich sie an an eine Stange. Die Kleinen trotten brav mit.
Jetzt marschiere ich noch 2x den Hang runter, hole erst die Taschen und anschliessend den Rucksack.
Beim Weitergehen, folgt mir Fanciulla nicht. Da rechts ein Maisfeld liegt, denke ich, dass es vielleicht doch nicht so weit her mit ihrer Treue ist, oder aber sie ist zu müde. Aber wieso meckert sie? Dabei hatte ich einfach vergessen, sie loszubinden. Ich glaube, ich habe bald einen Sonnenstich.

Auch Äpfel werden  nicht verschmäht
Auch Äpfel werden nicht verschmäht

Wir zotteln weiter. Eigentlich möchte ich hier einen guten Übernachtungsplatz suchen. Wir sind alle ko. und es ist immer noch sehr heiss. Doch Alles, was ich sehe, sind steile Weiden und Rinder, die neugierig neben uns herspringen.
Es geht auf der Asphaltstrasse steil aufwärts und zwar sehr steil. Fanciulla tut mir so leid.
Zuoberst erblicke ich ein Wäldchen; meine Hoffnung wächst, dass die Steigung dort zu Ende ist und wir einen Platz finden.
Endlich oben angekommen, ist alles, was ich sehe, ein nächster Hügel und nirgends auch nur ein Hauch eines geeigneten Platzes.
Ich bin fix und fertig und setzte mich an den Strassenrand. Dieses vermaledeite Emmental, wieso muss es so steil sein!
Beim Umherschauen sehe ich einen kleinen Weg, der rechterhand den Hang hinaufführt. Ein Versuch kann nicht schaden, denke ich mir. Ich probiere ihn und alle trotten mir müde nach.
Oben angekommen, kann ich meinen Augen nicht glauben. Eine kleine Weide am Waldrand mit ebenen Stellen und eine wunderbare Aussicht tun sich auf. Ein Geschenk des Himmels!
Ich binde Laska und die Geissen an und gehe mit ein paar leeren Petflaschen, begleitet von Volpino zum nächsten Bauernhof, um Wasser zu holen und zu fragen, ob ich hier nächtigen darf.
Was für ein Hof! Als erstes erblicke ich aus verkrusteten Augen erstaunt dreinschauende Katzen, die sich, über den überraschenden Besuch erstaunt, schnell davonschleichen.
Weitergehend finde ich keine Menschenseele, jedoch grosse Kuhaugen, die mich aus einem finsteren Stall beäugen. Dann eben einen Wasserhahn suchen. Ich entdecke diesen hinter dem Stall in der Melkkammer, die den Namen kaum verdient. Die Fliesen am Boden sind vom Stallschmutz, der wohl flüchtig abgewischt wurde, mit braunen Schlieren verdreckt und die Melkkannen haben keinen Glanz, sondern stellenweise alten Schmutzbelag. Ich bin nicht sehr zimperlich, doch diese Milch würde ich sicherlich nicht trinken.
Schnell fülle ich am Hahn die Petflaschen mit Wasser und koste es gleich. Es schmeckt besser, als jedes Wasser, das ich kenne. Schon wieder ein Wunder!
Ich mache mich schnell auf die Socken. Der Bauer hätte sicherlich keine Freude, mich in seiner Milchkammer zu entdecken.
Immerhin sehe ich seine Kühe am nächsten Morgen von meinem Schlafplatz aus auf der Weide grasen. Eigentlich zählt vor allem dies: Dass es den Tieren gut geht.
Der Besitzer der Wiese, auf der ich beschlossen habe, zu nächtigen, ist ein anderer Bauer. Er hat mich natürlich entdeckt und kommt am Abend
mit seinem E-Bike auf mich zugefahren. Ich habe etwas Bammel, ob er mich wieder verjagt und gehe ihm freundlich lächelnd entgegen. Insgeheim bin ich froh, dass ich zu müde war, ein Feuer zu machen.
Er wirkt nicht sehr begeistert, dass ich hier biwakiere, ist aber nicht unfreundlich. Scheinbar bin ich nicht die erste, die hier ungefragt nächtigen möchte. Die jungen Frauen, die das letzte Mal hier waren, scheinen ein wenig Unordnung gemacht zu haben. Doch er weiss es zu schätzen, dass ich wenigstens versucht habe, den Weidebesitzer zu finden.
Wir plaudern dann ganz nett und er fährt bald wieder.

Balil schlafend von mir gezeichnet
Balil schlafend von mir gezeichnet

 Ich beschliesse, dass dies meine letzte Nacht draussen ist. Ich frage meine Freundin Bettina, ob sie mich holt und sie sagt zu.
Was sind die Gründe? Ich merke, dass Fanciulla zu viel Gepäck tragen muss. Während des Marschierens (zum grössten Teil leider in der prallen Sonne bei 28°) wurde es für sie immer beschwerlich Leider kann ich ihr kein Gewicht abnehmen, da ich selber auch an der Grenze des (für mich) erträglichen gepackt habe.
Heute bei der letzten Etappe nehme ich ihr die grosse Blache ab, wenigstens das.
Ich geniesse an dem Abend einen wunderschönen Sonnenuntergang und die wirklich grandiose Weitsicht. Als Verpflegung reicht mir ein halbes Chapati und rohes Gemüse. Zum Dessert gibt es türkische Patisserie und Datteln.

Sonnenuntergang Part 1
Sonnenuntergang Part 1
Sonnenuntergang Part 2
Sonnenuntergang Part 2
 

In dieser Nacht schlafe ich schnell ein, trotz der vielen Insekten, die herumflattern. Es sind magisch von meiner Stirnlampe angezogene geflügelte Ameisen. Im Himmel erkenne ich Fledermäuse und Kolkraben. Heute kommt es mir vor, dass entgegen der letzten Nacht, die ich ohne tierische Störung verbrachte, alles um mich herum kreucht und fleucht. Auch im Wald kracht es und die Hunde müssen gut angebunden werden, damit sie nicht im Dickicht entschwinden.
Mitten in der Nacht wache ich auf, da es sehr stark windet. Mir wird etwas mulmig, da meine dünnen, selber geschnitzten Heringe nicht sehr tief im Boden stecken. Ich habe keinen Stein gefunden und sie deshalb mehr schlecht als recht von Hand in die harte Erde gedrückt, die schon lange keinen Regen mehr gesehen hatte. So befürchte ich im Moment, dass plötzlich die Heringe den Halt verlieren und die Blache auf mir liegt.
Zudem ist sie ja nicht mehr dicht und im Osten braute sich sichtbar etwas Dunkles zusammen. Ob ich dem Bauer trauen kann, der mir versicherte, dass es heute Nacht trocken bleiben wird? Ich versuche es und kann irgendwann tatsächlich wieder einschlafen.

Chapati und Kaffee, was braucht der Mensch mehr?
Chapati und Kaffee, was braucht der Mensch mehr?
Volpino ist auch dabei
Volpino ist auch dabei
 

2. Morgen
Es ist heute Morgen sehr gemütlich. Ich mache ein kleines Feuer (mit Erlaubnis des Bauern) und geniesse den frischen Kaffee und heisse Chapatis aus der Glut mit feinem Agavensirup.
Ich gönne mir den Luxus, nochmals in den Schlafsack zu kriechen, da ich noch Zeit habe und lese und döse vor mich hin.
Nach einem gemütlichen Aufräumen mache ich mich pünktlich auf den Weg und freue mich darauf, von meiner Freundin abgeholt zu werden nach etwa 3/4h Wandern. Sie schlägt vor, die Geissen hinten in ihren Mini-Van zu packen und uns alle in einem Rutsch zu mir zu fahren. Tatsächlich haben wir alle Platz, die Geissen halten sich sogar zurück und gehen erst zuhause auf Toilette. So fand mein spannender Ausflug dank meiner lieben Freundin ein gutes Ende.
Apropos spannend: Einem älteren Herrn, dem ich unterwegs begegnete, wollte es partout nicht in den Kopf, dass ich mir kein Ziel gesetzt hatte. „Man muss doch ein Ziel haben!“ meinte er dezidiert.
Ist dem wirklich so?

Laska ist stolze Rucksackträgerin
Laska ist stolze Rucksackträgerin