Portrait im Dorfgeischt

Artikel in der Dorfzeitung von Niederlenz im September `14 

Geissenkopf gezeichnet1
Wir an der Reuss
Mafald jung
Tesoro jung
Malin und die Gitzis

Begegnung und Bewegung mit Geissen

“Geissen sind wie eine Mischung aus Katze und Hund, nur eben in ihrer charakteristischen äusseren Form. Sie sind so eigenwillig wie eine Katze, so stolz und ihrer selbst bewusst; sie sind aber auch so treu und menschenverbunden wie ein Hund, genauso unternehmnungslustig und ideenreich.”

Dieses Zitat von Ann-Marie Hagenkötter bildet den Leitfaden für das Konzept, das Eva Scheuring mit dem Projekt “Mini Geiss” verfolgt. Begegnung und Bewegung mit Geissen gehört in das Gebiet Arbeiten mit Tieren, das drei Bereiche umfasst: Tiergestützte Therapie, tiergestützte Pädagogik und tiergestützte Aktivitäten.

 Von der Rahmenvergolderin zur Arbeitsagogin

Eva Scheuring, wohnhaft an der alten Lenzburgerstrasse 5, hat erst im zweiten Bildungsweg die richtige Berufung gefunden. Der Beruf der Rahmenvergolderin und die Arbeit in der Werkstatt waren ihr irgendwann doch zu langweilig, das Zeichnen und Malen von Tierportraits in der Freizeit brachte sie aber auf die richtige Spur. Zwei Sommer als Hirtin auf der Alp sowie eine dreienhalbjährige Ausbildung zur Arbeitsagogin in den Jahren 2002 bis 2005 führte sie ins Tessin, wo sie innerhalb des Drogentherapieprojekts Terra Vecchia auf einem Bauernhof im Centovalli mit Eseln und Geissen arbeitete und deren Charakteren intensiver kennenlernte.

Arbeitsagogik ist das Begleiten, Unterstützen und Fördern von Menschen bei der Arbeit. Das Ziel ist es, durch die professionell gestalteten Arbeitsprozesse Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen und dadurch die sozialen, personalen und fachlichen Kompetenzen dieser Menschen erweitern zu können. Häufig können diese Menschen aus psychischen, physischen oder auch wirtschaftlichen Gründen nicht, noch nicht oder nicht mehr im Arbeitsmarkt integriert werden. Arbeitsagogen sind in der Regel in Institutionen tätig wie Rehabilitationszentren, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, psychiatrischen Kliniken, Suchtfachkliniken und Therapiezentren, Einrichtungen des Straf- und Massnahmenvollzugs, Arbeitsprojekten für Erwerbslose oder Asylbewerbern, beruflichen Trainingszentren usw.

 Die Geiss, das ideale Therapietier

Eva Scheuring, gewohnt, sich selbständig zu bewegen, geht einen andern Weg. Selber hat sie heute eine neunjährige Tochter Malin, und als Mutter war es für sie naheliegend, vor allem mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. Für viele Menschen sind gerade Geissen die idealen Therapietiere. Seit zwei Jahren sind auf der grossen Weide zwischen alter Lenzburgerstrasse und Schulhausweg immer zwei bis drei Geissen. “Geissen verbinden in ihrem Verhalten und in ihrer Lebenshaltung viele Gemeinsamkeiten mit dem Menschen, sie zeigen uns oft vor, wie Schwierigkeiten angegangen werden können und geben uns so wertvolle und originelle Impulse”, erzählt Eva Scheuring, “durch ihre Kontaktfreudigkeit dem Menschen gegenüber kann der Austausch sehr intensiv und für beide Seiten befriedigend werden.” Ein Therapietag beginnt bereits beim Stall. Gemeinsam werden die Tiere gebürstet und vorbereitet. So entsteht ein Kontakt zwischen Mensch und Tier. “Gerade diese Kontaktfreude macht die Geissen zu idealen Therapietieren, sie kriegen jeden rum”, weiss Eva Scheuring aus ihrer Erfahrung. Menschen können lernen, Ängste zu überwinden, sie lernen einschätzen, wie viel Nähe das Gegenüber möchte und können auch Stress abbauen. Beim Aufenthalt mit Geissen kann man leicht zurücklehnen, und da keine Erwartungshaltung wie im täglichen Leben ist, entsteht auch kein Druck. Es bleibt die positive Erfahrung: Ich kann geben!

 Mit Geissen unterwegs

Ein paar Stunden mit Geissen zu verbringen macht Spass und ist ein Erlebnis für Jung und Alt. Auf einem kleinen Spaziergang oder einer grösseren Wanderung sind die Geissen stets dabei und können auch frei herumspringen, oder aber die Geiss wird an der Handleine geführt, wenn der Weg entlang von Strassen oder durch bewohnte Gegend führt. Das Therapieangebot von Eva Scheuring ist entsprechend aufgebaut. Spaziergänge von 2 bis 5 Stunden mit Snackpause oder Grillstopp werden organisiert, Schulausflüge, ja sogar Firmenwanderungen auf ausgewählten Wanderrouten sind feste Bestandteile einer Tiertherapie. Besuche in Alters- oder Behindertenheimen sind für die Insassen interessante und spannende Momente von ungewöhnlichen Begegnungen. Sind die Geissen nicht gerade mit therapeutischen Arbeiten beschäftigt, trifft man sie auf der Weide an. Hier machen auch viele Leute, Kinder und vor allem die Bewohner des naheliegenden Alterszentrums gerne einen Halt und suchen das “Gespräch” mit den Tieren.

Zur Zeit sind die beiden zwei Junggeissen, Mancha und Tesoro, auf der Weide. Es sind Capra-Grigia-Geissen, man trifft diese Rasse in den Farbschlägen von silber- bis dunkelgrau an. Ihre kräftigen, nach hinten gebogenen Hörner stehen für ihre Widerstandskraft und Ursprünglichkeit. Nach einem rund dreimonatigen Aufenthalt auf einer Sömmerungsalp ist auch Fanciulla, die 18-monatige Pfauenziege, wieder auf der Weide. Pfauenziegen haben eine attraktive Zeichnung: Die vordere Körperhälfte ist weiss mit schwarzen Stiefeln, die hintere schwarz mit weissen Oberschenkeln, weissem Aalstrich und Flankenfleck. Mancha und Tesoro, die beiden sechsmonatigen Geissen, werden jetzt von Eva Scheuring zu richtigen Therapietieren aufgezogen, bis in etwa sechs Monaten sind sie dann so vertraut, dass auch sie mit Menschen zusammen arbeiten 

Peter Winkelmann                                                            September 14