13.06.2022
Die Geissen und die Hunde kommen alle mit.
Schon wieder Auffahrt, schon wieder ein kleines, (aber was ist schon klein?)
Trekking hinter mir. Im Kopf hatte es lange vorher begonnen. In Gedanken
erlebte ich es vor: das „Unterwegs Sein“.
Kleine Fluchten aus dem ach so gebundenen Alltag.
Ich sah mich selbst im Rhythmus des Gehens in der Natur mit samt meiner kleinen
Herde und freute mich ungemein. Was ich nicht wollte: Das Gebunden sein an ein
bestimmtes Datum. Ich wollte spontan los, wenn das Wetter und meine Laune
passt.
Das bedeutete konkret, dass ich alleine losgehen muss. Zudem hatte ich ein
grosses Bedürfnis nach Ruhe, Ungebundenheit und Freiheit.
Die Leinenführigkeit, ein Grossprojekt:
Wie ist das realisierbar: Ich alleine mit 6 Geissen und 2 Hunden.
Streckenweise ist es vernünftig, die Tiere an der Leine zu führen, zum
Beispiel an viel befahrenen Strassen oder beim Passieren von verlockenden
Blumengärten, die nicht gerne beknabbert werden wollen.
Aber ist es möglich, 6 Geissen an der Leine zu führen? Wieso eigentlich
nicht? Wenn sie es gewohnt sind, kann es funktionieren. Alleine das Anbinden
meiner Tiere stellt als Herausforderung dar. Für diesen Zweck führe ich immer
leckere Maispellets mit mir. Sie kommen heran galoppiert und dann geht das
Gerangel los.
Wer krieg am Schnellsten was ab? Als erstes kommen die ungestümen Jährlinge
Balil und Paree. Sie bedrängen mich auf Ziegenart, manchmal sogar an mir
hochstehend und immer die Älteren im Auge behaltend. Diese sind stärker und sie
können jederzeit wegschubsen. Denn unter Geissen gilt nun mal das Gesetz des
Stärkeren, oder zumindest des Frecheren.
Sie sind nicht zimperlich, es gibt Einsatz von spitzigen Hörnern, also
aufgepasst!
Ich muss mich schnell entscheiden: Die Kleinen schnell anbinden, bevor die
Grossen wieder weg sind, oder erst die Grossen einzeln nach Hierarchiefolge
abzuholen und an einem Baum oder etwas Ähnlichem anbinden und dann die Jüngsten
packen. Die sind wiederum fortwährend im Weg im Versuch, was abzubekommen. Und
wo stehen 6 einzelne, nicht zu dicke Bäume, möglichst ohne Brombeerranken davor
und mit genügend Abstand dazwischen, und warten darauf, dass Geissen daran
angebunden werden?
Wie vielleicht bemerkt wird, ist allein das geordnete Anleinen eine
Wissenschaft für sich.
Da lob ich mir guterzogene Hunde, die sich in einer Reihe hinsetzen, um
sich anleinen zu lassen.
Bei Geissen heisst es untereinander: Komm mir nicht zu nahe! Da vor dem
Losgehen alle an der Leine und somit notgedrungen sehr nahe sind, ist die
Spannung dementsprechend hoch. Da wird gerne zwecks Spannungsabbau nach links
und rechts ausgeteilt.
Für mich bedeutet das, dass ich entweder nur mit einem Teil der Truppe
loskann, die sich einigermaßen Freunde oder enge Familie sind, oder ich übe so
lange, bis ich es mir und den Geissen zutraue, es zusammen hinzukriegen.
So fange ich schon im April an, alle Geissen an der Leine den Weg zur Weide
zu führen. Es ist vor allem am Anfang ein richtiger Kampf. Doch Aufgeben ist
keine Option. Mit der Zeit sollte es doch wohl klappen, dass die Chaoten sich
daran gewöhnen, hinter und nicht neben oder vor mir her zu zotteln und dies in
meinem Tempo. Tatsächlich sind sie manchmal sehr unruhig und stürmen drauflos,
bis ich draufkomme, wie das Problem zu lösen ist: Das Zauberwort lautet Reihenfolge,
sprich Hierarchie. Als eine Ordnung herrscht, kommt Ruhe unter sie.
„Wer steht wo“ ist bei Ziegen das A und O. (Wer geht wo, ist wohl
passender).
So bin ich also mehr oder weniger guter Dinge, als wir am
Auffahrtsdonnerstag losmarschieren.
1.kommt es anders, 2. als man denkt
Mein anfänglicher Optimismus dauert etwa eine Minute. Das Problem ist, wie
ich zu spät erkenne, dass ich nicht geübt hatte mit den 6 Geissen und den 2 Hunden zu gehen. Denn meine 2
Hunde, Laska und Volpino sind natürlich auch beim Trekking dabei.
Sie finden es jedoch nicht so toll, vor
den Geissen vorauszugehen. Ist ja irgendwie verständlich, denn wer hat schon
hinten Augen?
Sie zögern, loszugehen. Darauf wird der ganze Trupp unruhig und ich bin
ratlos.
Die Geissen drängen nach vorne und rennen fast in die Hundeleine, worauf
ich diese loslassen muss, damit niemand gewürgt wird. Dabei lasse ich zu viele
Leinen los. Fanciulla, die ältere Geiss, ist in Null Komma Nichts im nächsten
Gebüsch. Ich muss Ruhe reinbringen und beschliesse, Mafalda, meine wildeste
Geiss, anzubinden. Anschliessend kümmere ich mich um die restlichen 4. Da,
plötzlich höre ich ein Rummsen. Mafalda scheint sich selber zu Fall gebracht zu
haben, indem sie sich die Leine um die Beine und zusätzlich die Hörner
gewickelt hat. Dabei ist im Gerangel der Packsattel zum Bauch runtergerutscht.
Ich kann ihr nicht sofort helfen, da ich ja noch 4 Geissen einfangen und
anbinden muss, bevor sie zur nahe gelegenen Strasse rennen.
Ich bin fix und fertig, als alle angebunden, die Hunde zurückgeholt und
Mafalda plus Packsattel wieder entwirrt und geordnet dastehen.
Ich geb auf… ich kann das nicht… das funktioniert nie… so denke ich einen
Moment lang. Hab‘ ich mich übernommen? Das kann doch nicht sein.
Es sind doch nur 2 Tage und beim Bauern, dem die Wiese gehört, wo ich
schlafen möchte, hab‘ ich auch schon gefragt, ob ich kommen kann. Nein, ich
gebe nicht auf!
Was ich aufgebe, ist die Idee, alle Tiere an der Leine führen zu müssen.
Sie bleiben ja sowieso immer in meiner Nähe, die Treuen. Die kurzen Strecken an
der Strasse können die Autofahrer langsam fahren und sie haben noch was zum
Staunen.
Zum Thema Blumengarten: da wird das Tempo einfach erhöht.
So brechen wir doch noch auf, ich wieder entspannter und einigermassen
optimistisch.
Lustiges Wandern
Die Wanderung selbst ist unproblematisch und gemütlich. Das Wetter könnte
nicht besser sein, sonnig und nicht zu heiss, das Emmental mit seinen Hügeln
pittoresk und eine Freude zum Anschauen.
Das Stehlen von Blumen ist kein Thema, die Geissen gehen satt und zufrieden
hinter mir her. Lustig, wie verschieden sie auf Begegnungen der anderen Art
reagieren:
Bei einem Bauernhof schreien 2 Esel lauthals beim
Näherkommen. Während alle anderen einen weiten Bogen um das Gedröhne machen,
spaziert Paree unerschrocken zu den beiden Eseln und beschnuppert sie
neugierig. Am Schluss demonstriert sie sogar ihre Wehrhaftigkeit und zeigt
ihnen ihre Hörner, indem sie den Kopf senkt.
Auch eine Rinderherde,kann die Kleine nicht erschrecken und sie begrüsst sie fröhlich.
Ihr Zwillingsbruder Balil hingegen ist von ganz anderem
Schlag. Seine Reaktion bei etwas Neuem ist ein lautes Schnauben, welches die
anderen warnen oder einfach seinen Unmut kundtun soll, anschliessend geht er
mit Abstand weiter. Dafür entwickelt er sich zu einem Schmusepeter, der auch
das Bürsten seines schön weichen Fells geniesst.
Nach einer kurzen Pause mit Fotoshooting seitens der
Bauersfrau stechen wir in den Wald hinunter zu unserem Übernachtungsort.
Er ist sehr romantisch neben einem Bach am Waldrand
gelegen.
Er ist sehr romantisch neben einem Bach am Waldrand gelegen.
Übernachtung und Heimkehr
Es ist noch nicht sehr spät und so kann ich in Ruhe mein Zelt aufstellen und ein leckeres Essen kochen, bevor es dunkel wird. Ich hab‘ mir dieses Mal den Luxus eines Zeltes (anstatt nur mit Blache) gegönnt. Es ist ein leichtes „Wurfzelt“.
Die Geissen haben ein riesiges Buffet in Form einer grossen
Wiese mit vielen Büschen am Rand und ich koche ein leckeres Dinkelrisotto mit
Mangold, Knoblauch und verschiedenen anderen Gemüsen.
Ich geniesse den Abend vor dem Feuer und bin froh, dass
wir nach dem chaotischen Anfang doch noch eine friedliche Wanderung hingekriegt
haben.
Obschon hundemüde, liege ich noch lange wach und lausche
in die Nacht. Auch die Geissen meckern mir noch was vor. Vielleicht passt es
ihnen nicht, zum Schlafen angebunden zu sein. Doch irgendwann kehrt Ruhe ein,
so kann auch ich schlafen.
Am nächsten Morgen lasse ich sie früh frei, damit sie vor
dem Losmarschieren noch genügend Zeit zum Grasen haben.
Nirgendwo schmeckt ein Café so gut, als direkt vom Feuer.
Zum Essen gibt es knuspriges Fladenbrot mit Hagenbuttenkonfi. Ich schnitze mir
eine Grillzange, währenddessen das Zelt zum Trocknen quer liegt. Der Nachteil des
Wurfzeltes: Da einteilig, sind morgens die Wände vom Kondenzwasser pitschnass.
So vergeht der Morgen und bis wir losmarschieren, ist es schon Mittag und
richtig warm geworden.
Die Heimkehrroute wähle ich in einem Bogen verlaufend. Sie führt durch eine mir unbekannte Gegend. Die Wahl ist absolut lohnend. Wir kommen auf Wege mit wunderbarer Aussicht auf malerische Hügel und Bauernhöfe.
Leider habe ich es mit dem Packen wiedermal etwas zu gut gemeint. Genug Essen und das Zelt plus dies und jenes (inklusive Gaskocher, den ich dann gar nicht brauchte) führen dazu, dass die Last dann doch recht gross, auch wenn auf 4 Sättel und damit auf 4 Geissen verteilt ist.
So beschliesse ich kurzerhand, das Gepäck in der Nähe der
Strasse im Wald zu deponieren, um das letzte Drittel des Weges für die Tiere so
angenehm wie möglich zu gestalten. Vor allem das Gehen in der prallen Sonne ist
für sie eine unangenehme Sache und kann sogar gefährlich werden, wenn es schwül
ist.
Tatsächlich hebt sich ihre Lebensgeister sichtlich und wo
vorher langsames Trotten, wird ihr Gehen forsch. So kommen wir erschöpft, aber
zufrieden, zuhause an.
Zum Glück ist das Gepäck noch vollständig da, als ich es
später mit dem Auto hole.
Abends im Bett spüre ich eine schmerzende Stelle und
entdecke im Spiegel einen grossen blauen Flecken auf der Seite der Rippen. Da
hab ich wohl doch was abbekommen beim Losgehen..